Historische Stadtrundgänge
Stadtteil Unterboihingen
Station 3:
Schloss Unterboihingen
Schloss Unterboihingen

Abb. 1: Das Schloss und das Amtshaus im Jahr 2009 (Foto Lothar Fritz, Stadtarchiv Wendlingen am Neckar).
Das schon im 14. Jahrhundert als Burg erwähnte Schloss am Nordwestrand des Dorfes war Sitz der Ortsherren (solche bis 1805) und damit der Mittelpunkt der weltlichen Verwaltung. Von seinem ehemaligen Charakter als Wasserschloss ist heute nichts mehr zu erkennen. Das Gelände wurde wohl im 18. Jahrhundert eingeebnet, bepflanzt und mit einer Mauer umgeben.
Seit 1724 (Georg Wilhelm Specht von Bubenheim, sein Wappen über dem Eingang) steht der dreigeschossige Rechteckbau mit südlich vorgelegtem Treppenhaus in der heutigen Form. Die beiden unteren Stockwerke stammen noch aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (unter Hans Veit von Wernau). Über dem gewölbten Keller befinden sich im unteren Stock Küche und Speisekammer, im 2. und 3. Stock je ein Vorsaal und 4 Zimmer. Der ehemalige Eingang befand sich im Norden (Richtung Park und Bahnhof). Vor dem Treppenhaus im Park steht ein Brunnen von 1833. Dazu kommen zwei Wirtschaftsgebäude: das Bandhaus mit gewölbten Kellern und unter dem Dach drei Fruchtböden (aus dem 16. Jahrhundert) und der Hofsaal mit ehemals Wagenremise und Pferdestallung (aus dem 18. Jahrhundert). An dessen Ecke ein alter Rundturm, der als Ortsgefängnis diente und 1840 teilweise abgerissen wurde.
Die Freiherren Thumb von Neuburg (teilweise auch Neuenburg), die das Schloss samt Herrschaft Unterboihingen im Jahr 1739 erwarben und von Köngen herüberzogen, bewohnten das Gebäude bis in die 1980er Jahre. An Albrecht Hugo Thumb von Neuburg, Oberstleutnant a.D. (1887 / 1923 / 1969) und seine Gattin Ruth von Degenfeld (1900 / 1987), aber auch an deren Vorvorgänger, die Herren von Wernau, erinnern Wappenschilde am Bandhaus.
Baronin Ruth berichtet in ihrem „Gästeführer“ (Original im Stadtmuseum Wendlingen am Neckar), dass das Treppenhaus einst ein Wehrturm war, bei Renovierungsarbeiten in der 1,4 m dicken Wand Richtung Bahn eine Schießscharte freigelegt wurde und es ein zugemauertes Geheimtreppchen gibt. Sohn Freiherr Hans Hartmann Thumb von Neuburg (1924-2014) lebte mit Frau Ingeborg (1927) als Pferdezüchter und Reitlehrer zumeist auf Hammetweil. In Unterboihingen übte währenddessen Helmut Simanski als Schlossverwalter bis ins hohe Alter seinen Dienst noch in den 2000er Jahren aus. Als Zubehör sind vor 100 Jahren angegeben: eine Gaseinrichtung mit 4 Flammen, eine Wasserleitung mit 5 Hahnen, und elektrische Beleuchtung mit 14 Glühlampen und einem Kronleuchter. Das Hauptgebäude hatte zeitweise die Adresse "Adolf-Hitler-Straße 1", jetzt aber wie schon vorher: Bahnhofstraße 1. Seit 2015 dient das ganze Areal als prächtiger Hintergrund bei standesamtlichen Trauungen, Familienfeiern und anderen „Events“. Baronin Marisa Thumb von Neuburg betreut das Ganze vom Familiensitz Hammetweil bei Neckartenzlingen aus. Mittlerweile wohnt Baron Dr. Peter Claus von Tessin mit Frau Rebecca Thumb von Neuburg im Schloss.
Das Stammwappen der Adelsfamilie der Thumb von Neuburg ist dreimal gold–schwarz geteilt. Auf dem Helm sind zwei nach rechts gekehrte goldene Schwanenhälse mit schwarzen (auch roten) Schnäbeln. Die Helmdecken sind schwarz-golden. Anlässlich der Bestätigung um 1508 von Konrad Thumb von Neuburg als Erbmarschall des Herzogs von Württemberg wurde das Wappen um gekreuzte goldene Schwerter sowie einen Turnierhelm mit goldener Krone und daraus aufsteigendem Löwen mit aufgeworfenem Schweif und ausgestreckter Zunge erweitert.
Wie der alte Ortsplan zeigt, und wie auch die Lage der Hauptstraße, die noch 1930 Etterstraße genannt wurde, andeutet, spielte die heutige Nürtinger Straße (Husarengasse) nur eine untergeordnete Rolle, und es störte kaum, dass die herrschaftliche Schmiede gegenüber dem heutigen Löwen praktisch mitten auf der Straße stand. Aber man ließ sie 1927 abreißen, um den Engpass zu beseitigen. Der wachsende Verkehr machte dann um 1964 eine nochmalige Straßenverbreiterung nötig; dabei verlegte man das Bandhaus um einige Meter zurück und baute Garagen ein. Auf der anderen Straßenseite gab es links an Stelle der Bäckerei einen Feuerlöschteich, gespeist von dem mittlerweile verdolten Ortsbach. Rechts wie heute den Gasthof „Löwen“ (Nr. 16) und dahinter den „Adler“ (Nr. 17), der heute einer Tiefgarage gewichen ist. Das waren für lange Zeit die einzigen Gastwirtschaften im Dorf.
Das Amtshaus von 1800
Das zweistöckige Wohnhaus hat einen ersten Stock von Stein, den zweiten von Holz und einen gewölbten Keller. Dazu eine Scheuer mit ehemals Schafstall und Futterboden im Amtshof, zu dem auch ein Garten gehört. Ein Teil dieser Scheunen wurde im frühen 19. Jahrhundert von der Gemeinde abgekauft und diente dann als Gemeindescheuer, heute zu Wohnzwecken. Das Anwesen bildete vor 170 Jahren noch das Ende des Dorfes in Richtung zum späteren Bahnhof. Es war die Wohnung des Thumbschen Amtmannes, der als Verwalter des Barons, der ja meist in Stuttgart im Dienst war, die Aufsicht über Güter und Rechte der Ortsherrschaft führte. Frühe Pläne zeigen den Garten im Amtshof als Wandelgarten mit ovalen Beeten und verschnörkelten Rabatten. Die Fensterläden und Tore des ganzen Ensembles sind in den Thumbschen Farben gold und schwarz gestrichen. Derzeit ist eine Renovierung in vollem Gange. Der letzte Rentamtmann im Kaiserreich war Rudolf Raible aus Gerstetten, der auch in den Gemeinderat gewählt wurde. Er versah hier den Dienst 30 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 1922. In den Jahren 2024 und 2025 wird das Gebäude komplett restauriert.
Aus dem Gasthof Löwen, dessen Vorgängerbau 1927 abgebrannt war, stammte Lorenz Benz - ein bekannter Bildhauer, der vor allem in Schwäbisch Gmünd lebte und arbeitete. Er schnitzte für Unterboihingen einen Kreuzweg aus Lindenholz.
Im Löwen wurde ferner im Jahr 1828 Johannes Evangelista Göser (* 9. Januar 1828, † 18. Januar 1893 Berlin) geboren. Er war ein bekannter Pfarrer, Feldprediger und späterer Reichstagsabgeordneter.
Der Schlossherr und der Bettler
(Aus: KOCH, 1991)
Vor langer Zeit näherte sich eines Abends eine zerlumpte Gestalt dem Schlossgut und begehrte mit bescheidener Stimme Einlass. Als der Schlossherr öffnete und den Bettler sah, sagte er: "Scher dich weg, ohne Arbeit gibts bei mir nichts." Der alte Mann aber sprach: "Ich weiß, Herr. Schließen wir einen Pakt. In Eurem Stall sind nur kranke Kühe, die keine Milch mehr geben. Gebt mir zu Essen und ein Nachtquartier, und ich will Euer Vieh von der Seuche befreien."
Der Schlossherr sah ihn lange an, dann entgegnete er: „Gut, der Tausch gilt. Aber wenn es dir nicht gelingt, werde ich dich morgen früh höchstpersönlich mit den Hunden vom Schlosshof jagen.“
Der Bettler bedankte sich, nahm sein Essen und ging zum Stall hinüber. Dort hörte man ihn die halbe Nacht beschwörende Worte murmeln. Die Kühe, die am Anfang brüllten und unruhig an den Ketten zerrten, wurden immer ruhiger, und als der Morgen anbrach, legten sich alle Kühe hin und dösten. Der Schlossherr war überglücklich, dass sein wertvoller Viehbestand gerettet war, und belohnte den alten Mann fürstlich. Du kannst jederzeit bei mir bleiben, solange du willst. Ich biete dir für immer ein Zuhause. Der Alte aber sprach: „Herr, es ehrt mich, aber ich muss dorthin zurück, wo ich hergekommen bin. Aber wenn Ihr mich wieder einmal braucht, lasst um Mitternacht dreimal ins Horn stoßen, und ich werde da sein.“
Sprachs und war wie vom Erdboden verschwunden. Er wurde noch oft gerufen, und stets war er sofort zur Stelle. Einmal war das Wasser im Schlossbrunnen vergiftet, ein andermal lahmte das Lieblingsross des Schlossherrn, dann verdorrte das Efeu an der Schlossmauer ohne ersichtlichen Grund. Er brachte alles wieder in Ordnung. Der Schlossherr behandelte den Alten schon lange nicht mehr wie einen Bettler, sondern fast wie seinesgleichen. Oft saßen sie nach getaner Arbeit noch lange zusammen und redeten über gar Vielerlei. Der alte Mann führte dabei oft das Gespräch an, und der Edelmann war jedes Mal über die umfassende Bildung erstaunt. Aber immer, wenn die Sprache auf den alten Mann kam, wurde dieser sehr schweigsam.
„Herr, dringt nicht in mich, denn ich muss schweigen“, bat er. Eines Tages wurde er wieder einmal gerufen, um die Geister im Schloss zu vertreiben. Es dauerte Tage, und der Alte war sehr erschöpft von der schweren Arbeit. Als die beiden Männer im Park saßen und ihren Gedanken nachhingen, bat der alte Mann plötzlich um ein Glas Wasser. Der Schlossherr ging sofort, um das Verlangte zu holen. Als er mit dem Wasser zurückkam, saß der Alte mit verklärtem Lächeln auf der Bank – er war tot. Er bekam aus Dankbarkeit vom Schlossherrn ein ordentliches Begräbnis und einen schönen Grabstein, auf dem zu lesen war:
„Du sollst hier in Frieden ruhn, ich werde ewig an Dich denken; doch eines konntest Du nicht tun, Dir selbst das ewge Leben schenken.“
Eines Tages stand darunter:
„Herr, hätt ich‘s gekonnt, ich hätt es nicht getan.“
Literatur
- Koch, E. [Hrsg.] (1991): Sagen und Geschichten aus Ober/Unterboihingen. Ja so war’s einmal. Gesammelt von Ewald und Jürgen Koch, illustriert von Karin Wörtle. – Wendlingen am Neckar, Selbstverlag
Abbildungen

Abb. 2: Familienwappen der Freiherren Thumb von Neuburg.

Abb. 3: Urkarte aus den 1820er Jahren. Links (bei Nr. 116) das Schloss mit den umgebenden Wirtschaftsgebäuden. Auf der anderen Straßenseite (links von Nr. 102) die Schlossscheuer, darunter das Amtshaus bzw. Renthaus von 1800. Unterhalb der Nummer 118 die in die heutige Nürtinger Straße hereinragende Schmiede. Rechts unten erkennt man ab Nr. 87 (links vom Pfarrhaus) den hier am verlaufenden Ortsbach bis zur heutigen Bahnhofstraße. Er lieferte das Wasser für das einstige Wasserschloss.

Abb. 4: Das Schloss Unterboihingen im Jahr 1920. (Stadtarchiv Wendlingen am Neckar).

Abb. 5: Das Schloss im Jahr 2002. (Foto Roland Durst, Stadtarchiv Wendlingen am Neckar).

Abb. 6: Das Amsthaus bzw. Rentamt. Aufnahme von 1899.(Foto Winfried Durst, Stadtarchiv Wendlingen am Neckar).
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