
Emil und Emma Kanzleiter (Bild aus Privatbesitz)
Emma Kanzleiter
* 18.7.1917
† 9.11.1996

Familie, Hochzeit und Geburt des Sohnes
Emma Kanzleiter wurde am 18.07.1917 als Kind von Ernst Gotthilf Pfeiffer und Anna Maria Brauneisen in Wendlingen geboren. Sie heiratete 1936 den Schreiner Emil Kanzleiter aus Tischardt. Am 28.04.1937 kam der gemeinsame Sohn zur Welt, der wie sein Vater den Vornamen Emil trug.
Diagnose und Zwang zur Sterilisation
Kaum ein Jahr nach der Geburt ihres gesunden kleinen Sohnes erhielt Emma Kanzleiter nach einem Krampfanfall die Diagnose „erbliche Fallsucht“ (die damals verwendete Bezeichnung für genetisch bedingte Epilepsie). Das nationalsozialistische Eugenikprogramm hatte bereits 1934 ein „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen und zu dessen Durchsetzung die „Erbgesundheitsgerichte“ eingesetzt. Das zuständige Gericht in Stuttgart beschloss für Emma die Zwangssterilisation. Im Krankenhaus Esslingen wurde die junge Mutter psychisch unter Druck gesetzt: man drohte ihr an, sie dürfe nicht mehr zu ihrem Ehemann zurück, wenn sie sich nicht operieren ließe. Schließlich unterschrieb Emma die Zustimmung und am 11.08.1938 führte Dr. Wagner die Zwangssterilisation durch. Die Folgen waren schwerwiegend für Emma, die anschließend an Depressionen litt und schrieb: „Ich habe durch diese Sterilisation seelisch schwer gelitten, durch diese frevelhafte Entwürdigung“. Sie erhob 1943 Einspruch aufgrund von Beschwerden, die sie auf die Operation zurückführte. Von einer Reaktion der Behörden daraufhin ist nichts bekannt.
Versuch der Refertilisierung
1952 bemühte sich Emma Kanzleiter beim Gesundheitsamt in Nürtingen um eine Refertilisierung, also darum, die Sterilisation rückgängig zu machen. Sie, die im Krieg zwei Brüder verloren hatte, wünschte sich sehr, weitere Kinder zu bekommen. Prof. Ernst hielt nach einer ausführlichen Untersuchung die Diagnose „erbliche Fallsucht“ für unwahrscheinlich. Er urteilte, dass nach den nun geltenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Zwangssterilisation damals zu Unrecht erfolgte. Auf eine tatsächlich durchgeführte Refertilisierung gibt es keine Hinweise.
Zwangssterilisationen in der NS-Zeit
Während des NS-Regimes wurden bei 400.000 Menschen Zwangssterilisationen durchgeführt. Etwa 5.000 davon starben an den Folgen. Lange betrachtete man zwangssterilisierte Menschen nicht als Opfer „typisch nationalsozialistischer Verfolgung“, weshalb sie keine Wiedergutmachungszahlungen erhielten. Erst 1990 wurde ein Härtefonds für „vergessene Opfer“ eingerichtet. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde erst 2007 zum NS-Unrechtsgesetz erklärt, seit 2011 gesteht man den Opfern einen Entschädigungsanspruch im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes zu.
Vergebliche Bemühung um Wiedergutmachung
Für Emma Kanzleiter kam dies zu spät: Sie hatte sich beim Landesamt für Wiedergutmachung bereits 1974 und 1988 um eine Entschädigung für das erlittene Leid nach ihrer Zwangssterilisation bemüht – ohne Erfolg. Emma Kanzleiter überlebte den Eingriff – musste aber zeit ihres Lebens mit den körperlichen und seelischen Folgen zurechtkommen.