Historische Stadtrundgänge
Stadtteil Unterboihingen
Station 10:
Kapelle im Hürnholz
Die Kapelle
„Zu unserer lieben Frau im Hürnholz“
Erbaut: ca. 1100
Ersterwähnung: 1275
Adresse: Beim Friedhof 1

Abb. 1: Die Kapelle von Süden aus gesehen, Aufnahme 1910. Stadtarchiv Wendlingen am Neckar.
Das heutige Aussehen des Kirchleins geht zurück auf die Hauptrenovierung vom Jahr 1972, bei welcher auch die spätgotischen Secco-Malereien freigelegt wurden. Die Entstehungszeit des Turmes, an den die Kirche nur angebaut wurde, ist der Mauerweise nach auf die Zeit um 1100 anzusetzen.
Eine erste Erwähnung als Pfarrkirche geschieht aber erst 1275 im „liber decimationis“, einem Kreuzzugssteuerregister des Bistums Konstanz. Die abseitige Lage zwischen Unterboihingen, Bodelshofen und Wendlingen lässt auf eine frühe Zentralfunktion schließen.
Die Überlieferung meldet zumindest einen Umbau 1493, als wohl auch der Chor ausgemalt wurde. Die Seitenwände dort erzählen die Geschichte der Heiligen Barbara (links) und Katharina (rechts), die Stirnwand unter anderem den Tod Johannes des Täufers. Als das Patrozinium 1593 zur neuen Kolumbankirche ins Dorf gewechselt hatte, ließen Conrad von Wernau und seine Frau Anna Barbara von Aschhausen (Wappen am Chorbogen links bzw. rechts) das Kirchlein 1615 umfassend umgestalten und die vier Grabplatten ihrer Schilling-Verwandtschaft aus dem protestantisch gewordenen Bodelshofen in die Nordwand übertragen.
Bei der Kapelle „zu unserer lieben Frau im Hürnholz“ blieb ein Bruder in einem Häuschen mit Garten, wohl zur Betreuung der Wallfahrer. Das alles wurde im 30-jährigen Krieg ruiniert. Wichtige Zeichen des Wiederaufbaues waren die noch vorhandene Heroldglocke aus dem Jahr 1656 und die feierliche Kirchenweihe 1658.
In den 11 Jahren von 1669 bis 1680 raffte der Tod bis auf die kleine Johanna ihre Geschwister Anna (1669), Marquard (1679) sowie die Eltern Anna Maria Schenk von Castell (1675) und Max Gottfried von Wernau (1680) hin. Deren Epitaphe stehen jetzt unter der Empore und in schwarzem Marmor das des letzten Wernauers neben dem Eingang. An Johannas Mann, Wilhelm Specht von Bubenheim, wird auf dem jüngsten, größten und sehr gut erhaltenen Grabstein von 1726 erinnert.
Im 18. Jahrhundert wurde die Decke vergipst, das Dach steiler gestellt, eine Empore eingebaut und der Dachstuhl des Turms erneuert. Die Orgel auf der Empore baute 1806 der Oberboihinger Lehrer Georg Koch. Um diese Zeit wird die Kirche als Wallfahrtsort mit vielen Gebetserhörungen geschildert. Demnach (MATTHISSON 1816) wirkte das Gnadenbild „an Kranken aller Art Wunder über Wunder, und machte lange Zeit in den benachbarten Ortschaften die Kunst mehr als eines Arztes zu einer brotlosen.“ Wenige Devotionalien als Zeichen wundertätiger Hilfe sind noch erhalten.
Größere Renovierungen fanden dann 1898 (Kanzel entfernt) und 1936 (Empore im Chorraum entfernt, Außentüre im Chorraum zugemauert) statt. Nach Stromanschluss 1961 und der Umgestaltung von 1972 (Volksaltar statt Barockaltären, offenes Turmerdgeschoß, Versetzung der Epitaphe, Freilegung der Fresken, …) sieht der Besucher heute das Gnadenbild auf dem linken Seitenaltar, zur Sakristei die älteste Türe der Stadt, zwei tannene Chorstühle um 1600 und in der Turmnische eine Pieta. Und das alles inmitten eines Friedhofes, der 1823 nur um 20,6 m breit und 47,3 m lang war. 1887 fand eine Verlängerung statt so, dass laut Plan 186 Kinder und 194 Erwachsene begraben werden können.
Außerhalb der Kapelle laden in diesem ältesten Friedhofsteil Kriegerdenkmal und Lourdesgrotte, verschiedene Gedenkkreuze und ein steinerner Ritter in einer Mauernische zum Betrachten und zwei Ruhebänke zum Verweilen ein. Die Kapelle selbst, im Besitz der katholischen Kirchengemeinde, ist im Sommer an den Sonntagen geöffnet. Führungen lassen sich über das Pfarrbüro organisieren.
Die Bedeutung des Namens „Hürnholz“ oder „Hirnholz“ wird immer wieder kontrovers diskutiert, auch bei den Akteuren im Bürgerverein herrscht keine Einigkeit. In der Literatur wird der Bezug zum altdeutschen „hurn“, „hürwin“ oder „hor“, was „Sumpf“ bzw. „sumpfig“ oder „schmutzig“ bedeutet.
Im Gelände sind die sumpfigen Stellen deutlich auszumachen. Direkt hinter der Friedhofsmauer am Hang nahe der Turmstütze entspringt eine Quelle, die den größten Teil des Jahres Wasser führt. Und in der Verlängerung des „Franzosenwegs“ unterhalb der Kapelle hat es weitere Wasseraustritte.
Die andere Deutung basiert auf dem Namen „Hirn“. So wird ein weit über die Gemarkung herausragendes, hornförmiges Gelände bezeichnet, es stellt also eine Geländeform dar.
Für die Flur gibt es verschiedene Schreibweisen, nämlich
"ahm Hürnn" (1507),
"Im Hürnen" (1547),
"uffm hüren" (1643),
"im hieren" (o.J.). Die Deutung
„Horn“ wird zudem durch die beiden Namensnennungen
„Huornn“, also mittelalterlich
„Horn“ unterstützt. Es ist somit gut möglich, dass der Name der herausragenden Geländestruktur geschuldet ist. Auch die unterschiedlichen Schreibweisen, vor allem
„uff“ =
„auf“ lassen sich auf Grund obiger Ausführungen so erklären.
Literatur
- MATTHISSON, F. von (1816): Gedichte. Erster Theil. – Köln, Spitz.
Abbildungen

Abb. 2: Blick auf die Kapelle, von Osten aus gesehen, Aufnahme 1920. Stadtarchiv Wendlingen am Neckar.

Abb. 3: Kapelle, Innenansicht vor 1936. Stadtarchiv Wendlingen am Neckar.

Abb. 4: Kapelle und erweiterter Friedhof. Stadtarchiv Wendlingen am Neckar.
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